Wie schon seit 13 Jahren fand auch heuer wieder die vorweihnachtliche Hilfsfahrt nach Rumänien von „Grenzen Überschreiten“ statt und zwar von Donnerstag 13. bis Montag 17. Dezember 2012.
Diesmal waren drei Teams mit von der Partie. Die Vorhut bildeten Lisa, eine Wiener Kinderärztin, und ich, Burgi, die im wahrsten Sinne des Wortes schon Donnerstag spät abends „eingeflogen“ kamen. Um diese Zeit startete das Hauptteam unter Christophs Leitung gerade mit dem Raiffeisen-Betriebsratsbus zu seiner 15-stündigen Nachtfahrt Richtung Suceava. Im Morgengrauen brachen dann die beiden mit Weihnachtspaketen und Bergen von gespendeten Medikamenten voll beladenen Rotkreuzbusse unter Martins erprobter Leitung von ihrem Stützpunkt Purkersdorf via Osten auf. Alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen haben diese Weihnachtsfahrt nicht nur in ihrer Freizeit durchgeführt, sondern selbstverständlich sämtliche Reise-und Aufenthaltskosten selbst bezahlt, von ihrem Verdienstentgang gar nicht zu reden.
Ab Freitag mittag ging dann ein strategisch genau vorgeplantes Programm los. Zunächst wurde das seit Jahren von „Grenzen Überschreiten“ unterstützte Jugendzentrum von Pater Ionel und Pater Adi in Bosanci besucht, eigentlich wäre der Begriff visitiert zutreffender gewesen. Die Räumlichkeiten machten zwar einen etwas abgewohnten Eindruck, aber die Finanzen wurden von Barbara und ihrem Team für korrekt befunden und als nachvollziehbar eingestuft. Leider konnten weder Pater Ionel noch Pater Adi ein praktikables Konzept für eine qualifizierte und leistbare Jugendbetreung für das kommende Jahr vorlegen. Daher wurde beschlossen, Pater Ionels Jugendzentrum zwar weiterhin mit Weihnachtsgeschenken zu unterstützen, aber im kommenden Jahr kein Geld in den weiteren Ausbau dieses Zentrums zu investieren.
Durchwegs erfreulich war hingegen unser Besuch im ehemaligen Waisenhaus von Falticeni. Dessen Leiterin Gabriela drückte uns gleich zu Beginn unseres Gesprächs einen A4 Ordner mit tadellos eingehefteten Belegen in die Hand. Jede Ausgabe, ob diverse Anschaffungen, Arztbesuche, Kosten für Medikamenten … waren peinlich genau aufgelistet und genau belegt. Diese Frau ist wahrlich die Richtige am richtigen Platz ! Die Liebe zu ihren Schützlingen spricht aus jedem ihrer Worte und „ihre“ Jugendlichen liegen ihr wirklich am Herzen. Besonders sorgt sie sich um ihre kids mit „spezial needs“, die körperlich und/oder geistig eingeschränkten oder schon mit Aids geborenen Burschen und Mädchen. Fast alle ihrer Schützlinge leben inzwischen zwar nicht mehr im ehemaligen Kinderheim, sondern dezentral in kleineren Wohneinheiten zu acht bis zehnt, Gabriele ist aber dennoch deren Anlaufstelle für alle Arten von Problemen – großartig, wie sie diese mit Herz und Hirn trotz aller Widrigkeiten löst. Große Freude bereitete ihr die Aussicht auf die zukünftige – hoffentlich – gute Zusammenarbeit mit der Kinderabteilung des lokalen Spitals. Dessen ärztlichem Direktor ließ Lisa einenTeil „ihres“ in Wien bei Kollegen und in Apotheken zusammengeschnorrten Medikamentenberges zukommen – unter der Bedingung, von Gabrielas Schützlingen in Zukunft nichts mehr zu verlangen. Ein Problem in Rumänien ist nämlich, dass zwar Spital und Medikamente theoretisch kostenlos sind, die Spitäler aber nur ein beschränktes Medikamentenbudget zugewiesen bekommen – und wenn dieses aufgebraucht ist, gibt es halt nichts mehr! Kein Wunder dass „unsere“ Medikamentenspende, mit der Lisa auch noch eine Kinderärztin in Bosanci bedachte, große Freude bei den Beschenkten hervorrief. Ein herzliches Dankeschön an alle Wiener Spender und an Lisa, die das alles neben ihrer anstrengenden Ordinationsarbeit ermöglicht hat.
In der Zwischenzeit wurden unter der Leitung von Manu mit Hilfe Vasils in einer lokalen Markthalle mehr als 1 Tonne haltbare Lebensmittel für die Ärmsten der Armen besorgt. Selbstverständlich wurde nicht bei den großen europäischen Ketten gekauft, die einheimischen Händler sollten bewusst dieses Geschäft machen. Immerhin hatte dieser Großeinkauf von Öl, Zucker, Nudeln, Reis, Oliven, Fleisch, Käse und allerlei Konserven den Gegenwert von 3.000 Euro. Am nächsten Tag wurden dann diese Lebensmittel in einer riesigen Lagerhalle, die uns ein Freund von Vasil zur Verfügung gestellt hatte, aufgeteilt: eine neu gekaufte Decke wurde am Boden ausgebreitet, darauf kamen die Lebensmittel, angepasst an die jeweilige Familiengröße und ausreichend für einige Monate. Diese mit essbaren Kostbarkeiten voll beladene Decke wurde dann wie ein „Pschor-Paket“ zusammengeknotet und mit Hilfe einer Metallstange eines nach dem anderen in die Rotkreuzbusse gehievt. Eine Arbeit, die ohne die Hilfe der vier kräftigen rot-weißen Helfer nahezu unmöglich gewesen wäre. Die Burschen waren wirklich tüchtig und haben sich ein großes Dankeschön verdient!
Der Sonntag war dann der große Tag der Bescherung . Die Kinder in Bosanci und Falticeni bekamen die an sie persönlich adressierten Geschenkspakete, alle mit dem gleichen Inhalt, an die jeweiligen Jugendlichen persönlich adressiert und auf sie abgestimmt. Freudestrahlend wurden vielfach Schals, Hauben und auch Schokolade gleich probiert. Für die meisten von ihnen war das sicherlich das einzige Weihnachtspakerl . Es war schön, die glücklichen Gesichter zu sehen und zu wissen, dass kein Kind unbeschenkt nach Hause gehen musste. Denn auch für nicht vorgesehene Gäste hatte Barbara und das Team mit einigen Reservepaketen vorgesorgt. Die Kinder bedankten sich mit einstudierten Gedichten und Liedern für ihre Geschenke und beschenkten im Gegenzug uns damit ebenso reich.
Berührend war auch der Besuch bei den vielen Ärmsten der Armen, die uns Vasil und Pater Adi vorgeschlagen hatten. Unvorstellbar wie Menschen im 21. Jahrhundert nur ca. 1.000 km von Wien entfernt, heute noch leben müssen. Winzige Ein- bis maximal Zwei-Zimmer-behausungen – denn Wohnungen fällt mir schwer, diese Räumlichkeiten zu bezeichnen – dienen bis zu zehn Familienmitgliedern als Unterkunft. Überall wurden die Spendenpakete freudestrahlend in Empfang genommen, sichern sie doch der jeweiligen Familie künftige hungerfreie Monate. Manche „Wohnungen“ waren trotz aller Armut peinlichst sauber, in manchen hingegen herrschte unvorstellbares Chaos. Jedenfalls war jeder von uns dankbar, nicht so leben zu müssen.

Peter und George beschenken diese arme Familie in Bosanci mit Nahrungsmitteln und Weihnachtsgeschenken für jedes Kind
Tief betroffen gemacht hat uns Bürger einer Wohlstandsgesellschaft auch der Besuch im lokalen Altenheim. Von Nonnen tadellos sauber gehalten, scheint es gut geführt zu sein. Die Bewohner und Bewohnerinnen allerdings müssen in ca. 4 bis 5m2 „großen“ Zimmerchen „wohnen“, in die gerade mal ein Bett, ein Sessel und ein Kästchen passt. Daneben ein winziges Bad, das keiner von uns gerne benützen würde….und dennoch bin ich der Überzeugung, dass es viele Alte gibt, die dankbar wären, dort leben zu dürfen. Eine Dame bedankte sich mit einem Liedchen, eine andere erzählte uns sogar in fließendem Deutsch, dass sie aus Kronstadt stamme und dort Deutsch gelernt habe. Andere küßten uns sogar die Hand , was mich persönlich völlig hilflos machte. Sehr nachdenklich verließen wir alle diesen Ort.
Im Dauereinsatz war auch unser Ärztin Lisa. Sie verhandelte mit einer Kinderärztin in Bosanci, dem ärztlichen Direktor des Spitals von Falticeni und entschied dann, wer welche Medikamentenspenden erhalten sollte. Zusätzlich untersuchte sie zahlreiche Kinder in Pater Adis Jugendzentrum und verabreichte Linderung aus ihrem Medikamentenschatz. Auch so manche Babuschka war froh über Lisas medizinische Hilfe und Ratschläge. Im Kinderheim hatte Gabriela ihre Aidskranken zur Untersuchung versammelt und Lisa teilte an alle Vitaminspenden und die sonst noch nötigen Medikamente aus. Den Sonntag verbrachte Lisa mit mir und Gabriela im Heim und sie führte Gabriela in die Verwendung der ihr zugeteilten Medikamente ein. Leider war es der für das Waisenhaus zuständigen Krankenschwester wegen der andauernden Schneefälle nicht möglich, dabei zu sein. Das hätte uns zwar viel Zeit erspart, Lisa hätte dann aber niemals bemerkt, wie medizinisch versiert Gabriela ist. Vermutlich hat sie sich dieses Wissen durch die langjährige Verarztung ihrer Schützlinge angeeignet; Lisa konnte daher einen großen Teil der gespendeten Medikamente beruhigt Gabrielas Obhut überlassen. Abends waren wir dann todmüde und froh, dass der Fahrer des Spitals uns bei dichtem Schneegestöber in unsere Pension nach Suceava zurückkutschierte.
Das GÜ Team hatte für Sonntag vormittags Gespräche in Balanceana mit den GÜ-Stipendiaten vorgesehen. Der anhaltende Schneefall zwang allerdings zum Umdisponieren und nach einigen Hindernissen, konnte auch dieser Programmpunkt zufriedenstellend absolviert werden. In den letzten Jahren wurden vermehrt guten, aber finanziell bedürftigen Schüler/Innen und Student/Innen von „Grenzen Überschreiten“ zu einer ordentlichen Berufsausbildung verholfen. Die entsprechenden Kandidat/Innen wurden vom Bürgermeister von Balanceana und der Schuldirektorin ausgesucht und dann unserem Team vorgeschlagen. Eine wahrlich befriedigende Tätigkeit zum Abschluß der heurigen Weihnachtaktion.
Sonntag nachmittags begann dann die gruppenweise Heimreise. Der Raiffeisenbus war tatsächlich am Montag bereits vor 7 Uhr Früh in Wien, rechtzeitig um pünktlich wieder am jeweiligen Arbeitsplatz sein zu können. Ich finde es toll, dass junge Menschen sich für diese Art von „Freizeitbeschäftigung“ engagieren und tatkräftig zupacken, um Bedürftigen zu helfen. Danke Euch allen. Ob der heftigen Schneefälle war der Flughafen in Suceava Montag früh komplett gesperrt und Lisa und ich wurden per Bus nach Iasi umgeleitet und von dort nach Bukarest geflogen. Gott sei Dank konnte Lisa dann mit dem Argument, in Wien warten Patienten bereits in ihrer Ordination auf sie, die Stewardessen von Tarom dazu bewegen, uns kostenlos auf die AUA -Mittagsmaschine nach Wien umzubuchen. Daher trafen wir mit 7 stündiger Verspätung bereits gegen 16 Uhr wieder in Schwechat ein. Lisa raste gleich in ihre Ordination und auch ich war froh, wieder den Komfort meiner Wiener Wohnung genießen zu können. Unsere vier Rotkreuzhelfer starteten ebenfalls montags im Morgengrauen in Suceava und waren dann spät abends wieder zu Hause in Purkersdorf. Ende gut, alles gut.
Es waren anstrengende, aber zutiefst beeindruckende Tage, ermöglicht durch das große soziale Engagement einer Handvoll junger Menschen und durch die großzügige Unterstützung aller Spender von „Grenzen Überschreiten“. Ich persönlich würde mir wünschen, dass alle meine Enkelkinder als Jugendliche so einen Hilfstransport miterleben könnten. Dann würde ihnen hoffentlich bewusst werden, wie priviligiert es bei uns in Österreich ist. Ich jedenfalls bin froh, hier und heute zu leben. Danke für diese vorweihnachtliche Einsicht.
Burgi Marhold, 21. Dezember 2012
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